Dienstag, 16. Juli 2024

SG-Kongress: über Disruption und Transformation in Echtzeit

Berlin. (sgn) «Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben», sagte Patrick Steppe, Vorstandsvorsitzender der Lekkerland SE, in seinem Vortrag über die «Wachstumschancen und Herausforderungen für den Unterwegs-Konsum», den er auf dem 22. Internationalen SG-Kongress, dem Top-Forum der Süßwarenbranche, vor rund 500 KongressteilnehmerInnen im Berliner Hotel «Ritz-Carlton» hielt: «Die Tankstellen stehen sehr wahrscheinlich vor dem größten Wandel aller Zeiten.»

Er formulierte dies noch im Konjunktiv, während seine faktenreiche Analyse nicht mehr nur einen anzunehmenden Trend, sondern eine rasend schnelle Transformation in Echtzeit beschrieb. Als eine komplette Veränderung oder Revolution, die nicht mehr nur in Teilen, sondern im Ganzen sein Unternehmen betrifft respektive betreffen wird. Vor allem in Hinsicht auf die bisherige traditionelle Bedeutung und Funktion von Tankstellen – als eine wesentliche Säule für das Lekkerland-Geschäft und für die Convenience-Branche, die künftig wegzubrechen drohe. Ein disruptiver Wandel, der den Markt quasi komplett umleitet und umgestaltet.

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Steppe markierte die neue Situation so: «Ab 2035 sollen in Europa keine Verbrennungsmotoren mehr produziert werden dürfen. Die Zukunft gehört also der E-Mobilität. Wenn sich dann die Prognose bestätigt, dass 60 Prozent der E-Autos zuhause, 25 Prozent am Zielort und nur 15 Prozent unterwegs aufgeladen werden, verlieren die Tankstellen ihre zentrale Aufgabe. Zudem wird das Problem noch durch die Tatsache verschärft, dass durch neue, digitale Bezahlsysteme die Notwendigkeit entfällt, dass die Kunden überhaupt noch den Shop aufsuchen müssen. Zusätzlich wird es neue Markteinsteiger geben, die E-Ladestationen – etwa auch in direkter Nähe zu ihren Märkten und Geschäften – installieren.»

Die Potenziale im Unterwegs-Konsum würden laut Steppe mit dieser Transformation ja keineswegs wegfallen: «Der Markt bleibt. Wir müssen die Stationen dazu nur so weiterentwickeln, dass sie auch in Zukunft den neuen Bedürfnissen der Kundschaft gerecht werden. Die Antworten dazu können wir nur gemeinsam finden, also im engen Austausch mit unseren Marktpartnern und Zuliefern, zu denen wesentlich auch die Süßwarenwirtschaft gehört.»

Rund 500 TeilnehmerInnen, elf hochkarätige Referenten, ein kompaktes Tagungsprogramm über insgesamt fast 13 Stunden und ein perfektes Forum zum Networking: Die thematische Note in der Diagnose von Patrick Steppe stand beispielhaft für die Kernthematik des zweitägigen Spitzenforums und zog sich wie ein roter Faden durch die insgesamt 11 Vorträge, die Sweets Global Network wieder auf die spannende, erkenntnisreiche sowie abwechslungsreiche Kongressbühne gebracht hatte. Vor rund 500 Teilnehmenden war der programmatische Schnittpunkt der weltweit größten Fachtagung der Süßwarenwirtschaft vor allem durch die Faktoren Disruption und Transformation geprägt, wesentlich verbunden mit dem weiten Themenfeld Nachhaltigkeit/Ökologie.

«Change is the new normal»: Konkrete Antworten, Beispiele und Perspektiven

Im «Verpackungsspecial» skizzierten Marc Büttgenbach (Van Genechten Packaging), Dirk Gabriel (Mondi AG) und Thomas Reiner (Berndt+Partner Group) anhand von vielen Beispielen neue, nachhaltige Verpackungslösungen. Weg vom Kunststoff, hin zum Papier, am besten 100prozentig – als eine überaus komplexe Aufgabe, die zwar enorme Herausforderungen bedeutet, aber durchaus gang- und machbar ist. Und zudem auch – neben dem ökologischen und sozialen Aspekt – einen deutlichen Schub in der gesamten Produktentwicklung und -optimierung zur Folge haben kann.

Der E-Food-Experte Dr. Matthias Schu lieferte nicht nur einen umfassenden Trend- und Datencheck zum Status-quo im E-Food-Markt, sondern sparte auch nicht mit Kritik in Bezug auf mögliche Defizite in den Digitalstrategien der Hersteller. Seine Mahnung: «Hier gibt es auf allen Kanälen noch sehr viel Luft nach oben. Was viele wohl noch nicht mitbekommen haben, ist die Tatsache, dass der E-Food-Bereich der am stärksten wachsende Vertriebskanal ist. Was es hierzu von Seiten der Hersteller vor allem braucht, ist eine neue, konkrete Bedürfnissynchronisation.»

Wie die digitale Welt perfekt zu nutzen und zu bespielen ist, präsentierte die Jungunternehmerin Joana Wöhl überaus erfrischend, konzentriert und dynamisch. Ihr Start-up-Unternehmen Make-Cake.de, das sie gemeinsam mit ihrer Schwester Mayra 2018 aus der Taufe gehoben hat, ist komplett durchdigitalisiert. Analog sind hier nur noch der Flagstore in Eschwege, MitarbeiterInnen-Events und natürlich die Produkte. Make-Cake funktioniert in allen Bereichen ausschließlich über digitale Tools, ist nicht nur ein Vertriebsportal etwa für alternative, kalorienarme und zuckerfreie Backmischungen, Fruchtaufstriche, Riegel oder «Körnerbowls», sondern längst auch als Lifestyle-Community etabliert. Ihre Erfolgsgeschichte «von der Start-up-Küche zum digitalen Unternehmen – Verkaufsstrategien mit Soforteffekt» gab nicht nur spannende Einblicke in den Workflow einer Jungunternehmerin und ihres Teams, sondern entfaltete vor allem ein kompaktes Lösungspaket zur digitalen 360-Grad-Vermarktung. Nachfolgend dazu und absolut passend gab Jakob Neise einen direkten Einblick in die Lebens- und Bedürfniswelt der «Generation Z at its best», verbunden mit dem Motto und der Aufforderung «Play the Hype».

Die Folgen des Ukraine-Krieges – Ursachen, Wirkungen, Rohstoff- und Lieferprobleme

Ursachen und Wirkungen des Ukraine-Kriegs, Probleme in den Lieferketten, Rohstoff-mangel und -alternativen. Diese aktuelle wie drängende Thematik prägte den Vortragsbogen am zweiten Kongresstag. Einführend dazu erläuterte Rüdiger von Fritsch, der von 2014 bis 2019 Deutscher Botschaft in Moskau war, in seiner sachlichen Analyse «Zeitenwende: Putins Krieg und die Folgen» seine Einschätzungen zu den Motiven des russischen Kriegseintritts, zur derzeitigen Situation, zu einem möglichen Endszenario des Konflikts sowie zu den weitreichenden Veränderungen in der Weltpolitik.

Was derzeit und wohl auch künftig an der «Front» der Rohstoffmärkte konkret passiert, beschrieb Peter Fismer (Fismer Lecithin) detailliert am Praxisbeispiel der Verfügbarkeit, bei der Preisentwicklung und im Handel mit dem Grundstoff Lecithin. «Bitter or sweet» war die Frage, die er umfassend beantwortete – und die stellvertretend für viele Rohstoffprobleme steht, mit der die Süßwarenwirtschaft aktuell konfrontiert ist.

Einen alternativen Ausweg dazu stellten Miriam Gautier (Bösch Boden Spies) und Volker Weinlein (Good Food Creators) dar. Sie präsentierten neue, innovative Produkte, die aus bisher nicht verwerteten Produktionsabfällen entwickelt werden. Direkt dann auch als Trendprodukte konzipiert, die die «upcycled Food Revolution als unterschätzte Quelle für Innovationen» einläuten. Alternativ denkt und produziert auch Dr. Maximilian Marquart (QOA Company), der Schokolade ohne Kakao anbietet, indem er postuliert: «Save our Chocolate – delicious treats without cacao». Abschließend warf Dr. Heiko Frank einen kritisch-analytischen Blick auf den Gesamtzustand der Branche, indem er die Frage stellte: «Steht die Süßwarenbranche vor dem Ausverkauf?»

SG-Mitgliederversammlung wählt neuen SG-Aufsichtsrat und Vorsitzenden

Sweets Global Network hat auf seiner Mitgliederversammlung im Vorfeld des 22. Internationalen Süßwaren-Kongresses in Berlin einen neuen Aufsichtsrat gewählt. An der Spitze als Aufsichtsratsvorsitzender steht Ulrich Zuenelli (Loacker) für eine Amtszeit von vier Jahren. Den Aufsichtsrat bilden Peter Arnolds (EMD), Claus Cersovsky (Rübezahl-Riegelein), Rikus Kolster (Lekkerland), Thomas Luger (Lauenstein Confiserie), Richard Müller (Wawi Group), Josefine Sajonz (Sajonz Vertrieb) und Jörg Steffens (Steffens + Böge). Aus dem Aufsichtsrat respektive Vorstand des Branchenverbands ausgeschieden sind Dr. Gotthard Kirchner (Froneri Ice Cream Deutschland), Dr. Uwe Lebens (Genuport Trade), Andreas Nickenig, Hans-Jürgen Riegel und Dr. Alwin Scholze (Dr. Scholze Confiserie) (Foto: Sweets Global Network).