Dienstag, 16. Juli 2024

Nitratrichtlinie: Ministerinnen blitzen in Brüssel ab

Berlin. (eb) In Brüssel haben das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), vertreten durch die Ministerinnen Svenja Schulze (BMU) und Julia Klöckner (BMEL), in dieser Woche dem zuständigen EU-Umweltkommissar Karmenu Vella die jüngsten Anpassungen der Bundesregierung zur Düngeverordnung präsentiert. Mit ihren nicht ausreichend fundierten Vorstellungen scheiterten die Ministerinnen erwartungsgemäß.

Es drohen 850’000 Euro Zwangsgeld pro Tag

Es besteht die Hoffnung, dass sich die bundesdeutsche Politik jetzt, traditionell der Agrarindustrie zugetan, künftig mehr am Wohl von Mensch und Umwelt orientiert. Die beiden Ministerinnen seien in Brüssel regelrecht abgeblitzt, heißt es hier und da. Wer die langen Gesichter Schulzes und Klöckners auf den kostenpflichtigen Agenturfotos gesehen hat, kann das nachvollziehen. Andererseits: Sowohl Schulze als auch Klöckner sind diejenigen, die zu retten versuchen, was noch zu retten ist – nachdem andere Akteure in anderen Legislaturperioden die Dinge einfach hatten schleifen lassen angesichts der übermächtigen Agrarlobby im Land. Die wird den Miniserinnen auch jetzt im Nacken sitzen, nur dass wir keine Zeit mehr haben zum Nachgeben und Aussitzen. Spätestens bis Ende September muss eine Lösung her, sonst drohen Deutschland empfindliche Strafzahlungen. Die Rede ist von bis zu 850’000 Euro Zwangsgeld pro Tag, die der bundesdeutsche Steuerzahler für die verbandsfreundliche Politik zusätzlich aufbringen müsste – 310 Millionen Euro pro Jahr, die sich auch anderswo gut verwenden ließen.

Die bundesdeutsche Agrarpolitik muss zur Besinnung kommen

Es steht viel auf dem Spiel und der Europäischen Kommission ist nicht daran gelegen, dass irgendwer oder irgendwas sein Gesicht verliert. Man wolle Deutschland nun eng begleiten im Prozess, die hinlänglich (seit 25 Jahren …) bekannten Standards zu erreichen. Dabei geht es in erster Linie nicht ums Geld, sondern um die abgrundtief schlechten Nitratwerte im bundesdeutschen Grundwasser, die sich endlich bessern müssen. Das Zwangsgeld ist nur das Druckmittel, damit die bundesdeutsche Politik endlich zur Besinnung kommt.

Entsprechend freundlich liest sich die Medienmitteilung von BMU und BMEL, weil Svenja Schulze und Julia Klöckner natürlich nicht die Büttel sind, an denen man seine Frustration angesichts der vielen verpassten Chancen auslassen könnte. Klar, sie sind nun diejenigen, die die Kohlen aus dem Feuer holen müssen. Das wiederum versetzt beide Ministerinnen in eine einzigartige Verhandlungsposition auch gegenüber der Agrarlobby, die alle Beteiligten hoffentlich zu nutzen verstehen.

Ein Paradigmenwechsel bietet immer auch Chancen

Wie auch immer: Gegenüber Karmenu Vella bekräftigten die Ministerinnen, mit der EU-Kommission in allen Punkten zu einer einvernehmlichen, zielorientierten sowie praktikablen Lösung gelangen zu wollen. So sind neben zahlreichen weiteren Maßnahmen etwa strengere Vorgaben für das Ausbringen von Düngemitteln auf Hangflächen in Gewässernähe sowie eine Ausweitung der dortigen Randstreifen vorgesehen. Auch die Zeiten für das Ausbringen von Festmist sollen weiter beschränkt werden. Die Praxis, Gülle und Mist zu importieren, dürfte hoffentlich ebenfalls bald ein Ende haben. Doch von solchen Einsichten ist Deutschland noch Lichtjahre entfernt. Beim jetzt angedrohten Zwangsgeld geht es verfahrenstechnisch nicht um die Novelle von 2017, sondern erst einmal darum, wenigstens die alte Düngeverordnung von 2006 zu erfüllen.

Hintergrund

Mit Urteil vom 21. Juni 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, dass Deutschland die Nitrat-Richtlinie verletzt hat. Der Verstoß liege darin, dass die Bundesrepublik im September 2014 keine weiteren «zusätzlichen Maßnahmen oder verstärkte Aktionen» zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus der Landwirtschaft ergriffen habe, obwohl deutlich gewesen sei, dass die bis dahin ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichten. Die am 02. Juni 2017 in Kraft getretene novellierte Düngeverordnung war nicht Gegenstand des Verfahrens, sondern die alte Düngeverordnung von 2006. Auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs sieht die Europäische Kommission allerdings auch Anpassungsbedarf an der Düngeverordnung aus 2017. Mit dem Mahnschreiben leitet die Kommission das Zweitverfahren ein, da Deutschland nach Auffassung der Kommission noch nicht die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung des genannten Urteils getroffen hat.