Dienstag, 16. Juli 2024
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Megatrend Urgetreide bietet noch viel Potential

Hohenheim / Weinheim. (uh / adb) Die Urgetreidearten Einkorn, Emmer und Dinkel sind immer beliebter bei Konsumenten – doch scheuen sich manche Bäcker vor deren Einsatz. Genau deshalb fand der Praxistag «Keine Angst vor Urgetreide» Ende April in Weinheim statt. Hier erklärten erfahrene Bäcker und Getreideexperten, welche Chancen die Urgetreidearten bieten und gaben Tipps für ein optimales Backergebnis. Die Veranstaltung der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim und der Universität Hohenheim in Stuttgart war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Teilnehmenden kamen aus dem gesamten deutschsprachigen Europa sowie aus Griechenland.

Mit Charts zu den Marktveränderungen im Brotmarkt und hieraus resultierenden Chancen führte ADB-Direktor Bernd Kütscher in die Tagung ein, bevor Getreideforscher Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim interessante Kenntnisse zu alten Getreidearten vermittelte. Demnach ist «Urgetreide» wissenschaftlich überhaupt nicht definiert und die Abgrenzung schwierig. Insofern plädierte er dafür, stets auch die entsprechende Getreidearten wie zum Beispiel Einkorn, Emmer und Dinkel zu benennen, deren genetische Unterschiede er im Detail erläuterte. Alte Getreidesorten bieten aus seiner Sicht noch erhebliche Marktchancen, aufgrund deren sehr interessanten Eigenschaften und Aromen. Im Zuge dessen stellte er auch eine Versuchsreihe vor, aus der sich eindeutig ergab, das Aroma entsprechender Produkte zur Hälfte von den Umweltbedingungen des Getreideanbaus geprägt ist. Hieraus entsteht das Potential, Begriffe wie «Terroir» in der Auslobung von Broten ebenso zu nutzen wie die Winzer dies tun.

Dr. Heiko Zentraf von der GMF stellte anschließend die Entwicklung des Dinkelmarktes vor. So ergibt sich aus einem statistischen Jahrbuch des Jahres 1880, dass der Dinkel schon damals sehr beliebt war. 72 Prozent des Spelzweizens wurden im damaligen Königreich Württemberg und weitere 21 Prozent im Königreich Bayern angebaut. Dinkelprodukte sind heute bundesweit zu haben, doch von den derzeit 78.254 Hektar Dinkel-Anbaufläche liegt der Schwerpunkt noch immer in Baden-Württemberg und Bayern. Nach seinen Berechnungen haben Dinkelbackwaren in Deutschland derzeit einen Marktanteil von 6,5 Prozent, was beachtlich, aber noch ausbaufähig ist. Nicht umsonst hat das Deutsche Brotinstitut das Dinkel-Vollkornbrot zum «Brot des Jahres 2018» gekürt.

Siegfried Brenneis gab als «Urkorn-Revolutionär» anschließend verschiedene Impulse zum Marketing entsprechender Produkte und verband diese mit wertvollen Praxistipps für die Herstellung. Um entsprechende Produkte zu testen, ohne das Sortiment zu sehr auszudehnen, hat er in der von ihm geleiteten Bäckerei sehr gute Erfahrungen mit Urgetreide-Aktionstagen gemacht, was er auch den Teilnehmern empfahl. Sein Appell: «Urgetreide bietet viele Chancen. Werden sie aktiv!». Franz Xaver Ladenburger von der Heimatsmühle stellte anschließend die Herausforderungen der Mühlenbranche im Bereich alter Getreidearten anschaulich dar.

Ein aus Sicht der Teilnehmer weiteres Highlight war auch der Beitrag von Brotsommelier Stefan Keller von der Firma CSM, welcher den Teilnehmern schwungvoll den emotionalen Wert von Brot nahebrachte. «Brot macht nicht einfach nur satt. Brot ist auch Leben, Tradition, Emotion und Genuss», führte er ein. Gemeinsam mit den Teilnehmern wurde anschließend ein Urgetreide-Sechskornbrot anhand der Weinheimer Brotsprache genussvoll erschlossen und gemeinsam beschrieben. Er lobte die entsprechende Arbeit von Prof. Michael Kleinert und der Akademie. «Nutzen Sie die Sprache des Brotes, um Mitarbeiter zu schulen und Kunden für Brot zu begeistern», so Keller: «Die Weinheimer Brotsprache steht kostenfrei im Downloadbereich der Akademie zur Verfügung.»

Auch «Dinkelpapst» Horst Deffland schaute kurz aus seinem parallel laufenden Seminar in den Lehrbackstuben der Akademie vorbei, um den Teilnehmern des Praxistages bäckereitechnologische Hinweise zur optimalen Verarbeitung von alten Getreidearten zu vermitteln. Dabei wurden unter anderem auch die Vorteile und Grenzen von Quellknetungen, Kochstücken, Psyllium (Flohsamenschalen) und einer milden Fermentationen dargestellt und anhand von Rohstoff, Teig- und Brotmustern anschaulich unterstrichen. Nach einer Kaffeepause mit leckerem Urgetreide-Kuchen gab Tobias Pfaff von der ADB Bäckerfachschule Stuttgart Praxistipps für die Verwendung von Urgetreiden in der Feinbäckerei und Konditorei – noch immer eine absolute Nische und damit eine weitere Chance. Gerade bei Massen sind Urgetreide aus seiner Sicht hochinteressant, da die Gluteneigenschaften hier nicht so wichtig sind und das Farb- und Geschmackspotential von alten Arten bestens ausgereizt werden kann.

Den gelungenen Abschluss der hochkarätigen Veranstaltung bildete Heiner Beck von der Firma BeckaBeck auf der Schwäbischen Alb, der in jungen Jahren mit dem Anspruch angetreten ist, dem Dinkel «seine Heimat wiederzugeben» und diesen in der Region entsprechend wiederzubeleben. Beck plädierte für einen intensiven Dialog mit Getreidezüchtern, Landwirten sowie regionalen Mühlen, was er selbst in bester Weise vorlebt, mit großem Markterfolg. So zahlt er seinen Partnern aus der Landwirtschaft ganz bewusst deutlich mehr Geld für ihr Getreide und pflegt unter anderem auch regionale und faire Rohstoff-Kooperationen in den Bereichen Milch, Kümmel, Honig und Mohn. Das Motto beim BeckaBeck: «Es muss schmecken, aus der Region kommen und wenn es dann noch Bio ist, ist es super.»

20180425-ADB-WEINHEIM-02Hinweis: Die nächste gemeinsame Veranstaltung zum Thema Urgetreide findet am 03. Juli 2018 an der Universität Hohenheim in Stuttgart statt (Fotos: ADB).