Hamburg. (eb) Bluthochdruck oder Hypertonie ist eine unterschätzte Volkskrankheit. Schon 52 Prozent der Jungen und 26 Prozent der Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren weisen Blutdruckwerte oberhalb der als optimal geltenden Werte auf. Wer also mit dem sympathischen «Bäckman» wirbt, eigene Kinder hat und/oder inmitten einer fröhlichen Schar für Deutschlands Grundnahrungsmittel Nr. 1 wirbt, sollte sich das vor Augen führen – und sich mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) befassen, die da fordert, dass Kinder am besten gar nicht erst an eine hohe Speisesalzzufuhr gewöhnt werden sollten.
Bluthochdruck zählt aufgrund der Verbreitung und der anfallenden Behandlungskosten zu den volkswirtschaftlich bedeutenden Erkrankungen. Bluthochdruck gilt als einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese Krankheitsbilder nehmen mit Blick auf direkte und indirekte Krankheitskosten seit Jahren eine Spitzenstellung ein, schreiben das Robert Koch Institut und das Statistische Bundesamt in der «Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Heft 43 – Hypertonie» (PDF).
Durch Hypertonie verursachte Kosten
Direkte Kosten: Direkte Kosten beschreiben den Mittelverbrauch im Gesundheitswesen, welcher unvermittelt mit einer medizinischen Behandlung, einer Präventions-, Rehabilitations- oder Pflegemaßnahme anfällt. Die direkten Kosten für Krankheiten des Kreislaufsystems betrugen im Jahr 2006 rund 35,2 Milliarden Euro und standen mit 15,7 Prozent an der Spitze aller anfallenden Krankheitskosten. Angesichts der Kostenexplosion im Gesundheitswesen werden es heute sicher nicht weniger als 35,2 Milliarden Euro sein, die das Gesundheitssystem – wir alle mit unseren Kassenbeiträgen – dafür aufbringen müssen.
Indirekte Kosten: Neben den direkten, monetär bewerteten Krankheitskosten berücksichtigen die indirekten Kosten den durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und vorzeitigen Tod von Erwerbstätigen entstehenden Ressourcenverlust für die Gesellschaft. Indirekte Kosten werden unter Berücksichtung der aktuellen Erwerbstätigkeitsquote in Form von verlorenen Erwerbstätigkeitsjahren berechnet, die eine kalkulatorische Kennzahl darstellen. Die Krankheitskostenrechnung des Statistischen Bundesamts für 2006 weist für die erwerbstätige Bevölkerung insgesamt 373.000 verlorene Erwerbstätigkeitsjahre durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität oder vorzeitigen Tod infolge von Herz- Kreislauferkrankungen aus. Das sind 9,5 Prozent aller verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre. Darin enthalten sind die verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre für Hypertonie mit 27.000 Jahren. 2006 betrug die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch Tod unter 65 Jahren infolge einer Hypertonie 17 Jahre je 100.000 Einwohner.
Arbeitsunfähigkeit: Zahlen zu Arbeitsunfähigkeitsfällen und -tagen aufgrund einer Hochdruckerkrankung liegen nur für Pflichtmitglieder der AOK vor. Im Jahresdurchschnitt 2006 sind das 33,8 Prozent der Pflichtmitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung. Für die Diagnose Hypertonie waren 2006 bei den Frauen 87,3 und bei den Männern 88,9 Arbeitsunfähigkeitsfälle je 10.000 Pflichtmitglieder (ohne Rentner) zu verzeichnen. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit je Fall betrug 14 Tage bei Frauen und 15 Tage bei Männern.
Frühberentung: Die Zahl der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit infolge von Hypertonie lag 2006 bei 425 bei den Frauen und 873 bei den Männern. Das Durchschnittsalter bei Rentenbeginn betrug bei beiden Geschlechtern 55 Jahre.
Gesundheitliche Vorsorge
Sachverständige empfehlen seit vielen Jahren die Entwicklung eines Mehr-Ebenen-Konzepts zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Sinne eines Nationalen Präventionsprogramms, welches den vorsorglichen Schutz vor Hypertonie mit einschließt. Die Politik hat diese Empfehlung vor knapp einem Jahrzehnt aufgegriffen und versucht seither, das Bewusstsein für die Volkskrankheit Bluthochdruck besser zu schärfen. Wie bereits erwähnt, ist Bluthochdruck eine volkswirtschaftlich bedeutsame Krankheit: Sie kostet uns viele Milliarden Euro, die wir auch besser anlegen könnten. Die vorgestellten Berechnungen lassen nur ahnen, welche Mehrausgaben in den kommenden Jahren auf uns zukommen.
Wer also mit Blick auf die Bluthochdruck-Prävention auf unveränderliche Rezepturen pocht, gegen eine «Geschmackspolizei» protestiert und sich gegen ein «Diktat einer Salzreduktion in Brot» wendet, der hat vielleicht noch nicht den Blick dafür entwickelt, wie sehr die Volkskrankheit Bluthochdruck die Gesellschaft finanziell belastet. Natürlich auch die backenden Betriebe, die mit immer neuen Kostensteigerungen zu kämpfen haben.
Auch oder gerade mit Blick auf den eingangs erwähnten, liebenswerten «Bäckman» und unsere Kinder sollte die Unterstützung eines gesunden Lebenswandels nicht als Diktat empfunden werden. Im Gegenteil: Sie sollte von Herzen kommen, denn Gesundheit bedeutet Lebensqualität.
Oder um es mit den Worten von Karl-Heinz Wohlgemuth, Landesinnungsmeister für den Bäckerinnungsverband Niedersachsen/Bremen (BIV), in einem anderen Zusammenhang zu sagen: «Brot ist ein überaus wertvolles Lebensmittel, in dem sich Kreativität und neue ernährungsphysiologische Erkenntnisse perfekt miteinander verbinden lassen». Das klingt gleich viel offener und meint irgendwo vielleicht auch das Thema Salzzugabe.
Salzreduktion als Beitrag zur Vorsorge
Salzreduktion als Beitrag zur Bluthochdruck-Vorsorge stellt eine Ebene von mehreren im skizzierten Mehr-Ebenen-Konzept dar. Weil Deutschland in diesem Sinn nicht oder nur schwer in Gang kommt und das Thema bislang eher grottenschlecht als recht kommuniziert wird, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Anfang des Jahres eine Stellungnahme veröffentlicht unter dem Titel «Speisesalzzufuhr in Deutschland, gesundheitliche Folgen und resultierende Handlungsempfehlung». Damit ruft sie Politik und Lebensmittelproduzenten zum Handeln auf, denn die Zusammenhänge zwischen Speisesalzzufuhr und Blutdruck sind eindeutig.
Brot kann einen entscheidenden Beitrag leisten
Die Stellungnahme der DGE fasst bewiesene Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Speisesalz und der Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten zusammen. Diese Erkenntnisse setzt sie in Bezug zu aktuellen Zufuhr- und Gesundheitsdaten aus Deutschland. Darauf basierend betont die DGE die Notwendigkeit, die Speisesalzzufuhr in der Bevölkerung zu verringern, um die beschriebene Krankheits- und Kostenlast zu senken. Um die Speisesalzzufuhr landauf, landab zu reduzieren, müssen demnach Brot, Fleisch, Wurst und Käse weniger Speisesalz enthalten. In dieser Reihenfolge: Brot spielt eine entscheidende Rolle, weil es den größten Beitrag zur Salzreduktion leisten kann (Foto: pixabay.com).
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