Dienstag, 16. Juli 2024

Cotti Coffee: stampft binnen eines Jahres 5’000 Filialen aus dem Boden

Beijing (CN) | Bremerhaven (DE). (eb) Zunächst mischten sie das chinesische Autovermietungsgeschäft auf, bevor sie eine aufstrebende Coffeeshop-Kette ins Leben riefen, die mit Starbucks um die Vorherrschaft in China konkurrierte. Doch die Unternehmer, die hinter dem spektakulären Aufstieg von Luckin Coffee stehen, wurden vor fast drei Jahren durch einen Finanzskandal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Jetzt sind Charles Lu und Jenny Qian auf dem Weg der Besserung und versuchen kühn, das Coffeeshop-Geschäft erneut zu erobern – dieses Mal als Konkurrenten von Luckin Coffee. Ihr neuestes Projekt ist eine schnell wachsende Kette mit dem Markennamen Cotti Coffee. Können die Unternehmer den Erfolg trotz des nachwirkenden Stigmas des Luckin-Skandals erneut schaffen und vor allem halten?

Das Duo stand kurz davor, Starbucks auf dem chinesischen Markt zu überholen. 2019 besaß Luckin mehr als 4.500 Filialen in China und überholte damit die bis dato rund 4.100 Läden des Starbucks-Netzwerks. Doch die Führungskräfte wurden im Juli 2020 entlassen, nachdem der Bilanzskandal bekannt wurde und die Enthüllungen über gefälschte Umsätze eine breitere behördliche Untersuchung chinesischer Unternehmen in den Vereinigten Staaten auslösten. Die Affäre schlug Wellen bis nach Europa.

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Mit ihrer Erfahrung fällt es Lu und Quian leicht, das Konzept hinter dem Erfolg von Luckin zu kopieren. Die Cotti-Website weist sogar explizit auf den Hintergrund des Duos im Kaffeegeschäft hin: Die Kette wurde «von der Gründerin und ehemaligen CEO von Luckin, Jenny Qian, zusammen mit dem ursprünglichen Kernteam von Luckin Coffee mit einem registrierten Kapital von 200 Millionen US-Dollar aufgebaut».

Ende Oktober 2022 wurde die erste Cotti-Filiale in Chinas südöstlicher Provinz Fujian eröffnet. Charles Lu sprach offen über seine Ambitionen und sagte, dass «das Kaffee-Dreamteam die Reise wieder aufnimmt», während die Kette mit einer Werbekampagne und einem Kampfpreis pro Tasse Kaffee um Umsätze warb. Die Marke wurde zum Sponsor der argentinischen Fußballnationalmannschaft und forderte Luckin Coffee offen heraus, indem sie ihren Kaffee zu einem Preis von nur 9,9 Yuan pro Tasse anbot (= 1,28 Euro).

Anlass für diese Betrachtung in Kooperation mit Bamboo Works ist die Mitteilung «Cotti Coffee Boasts Over 5’000 Outlets in Less Than a Year» von Ende August. Darin kündigt die chinesische Cotti Coffee Inc. ihre Pläne für eine internationale Expansion an.

Nach Angaben für das zweite Quartal 2023 vom 01. August zählt die Luckin Coffee Inc. heute 10’836 Filialen, davon 7’188 Standorte im Eigenregie sowie 3’648 Einheiten gemeinsam mit Franchisenehmern in China und darüber hinaus.

Geplant ist exponentielles Wachstum für den internationalen Erfolg

Nach der Initialzündung von Oktober 2022 zählte Cotti Coffee im April 2023 schon 1’200 Filialen. Ende August vermeldet die Kette stolz 5’000 Filialen und verkündet ihre internationalen Pläne.

Dabei handelt es sich um eine vertraute Mischung aus Werbemaßnahmen, wettbewerbsfähigen Preisen und einer raschen Expansion der Geschäfte. Lu und Qian wendeten 2017 eine ähnliche Strategie an, um fünf Finanzierungsrunden für Luckin Coffee zu sichern, fast 1,4 Milliarden US-Dollar aufzubringen und die Kaffeemarke schließlich innerhalb von nur zwei Jahren in New York an die Börse zu bringen.

Der Rückgriff auf Fremdkapital zur Unterstützung hoher Subventionen zieht sich wie ein roter Faden durch Lus Karriere. Seit 2007 nutzte er diese Taktik, um die eingangs erwähnte Car Inc. in weniger als sechs Monaten zu Chinas größtem Autovermieter zu machen. Nach mehreren Finanzierungsrunden wurde das Unternehmen 2014 an der Hongkonger Börse notiert. Erst nach dem Ausbruch von Covid-19 und der Kontroverse um Luckin Coffees Finanzen verblasste die Anziehungskraft. Bei einer Gewinnpräsentation 2020 stellte der heutige Car Inc. CFO unverblümt fest, dass der Luckin-Skandal eine Refinanzierung unmöglich gemacht habe. Schließlich wurde Car Inc. privatisiert und vom Private-Equity-Riesen MBK Partners von der Börse genommen.

Werden die Investoren angesichts des bitteren Nachgeschmacks des Luckin-Skandals ein weiteres Geschäftsgebräu von Lus Team konsumieren wollen? Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Cotti derzeit Kapital benötigt, doch nach den Erfahrungen mit zwei anderen Lu-Marken zu urteilen, wäre jede Kapitalbeschaffung eine Herausforderung.

  • Nach seinem Ausstieg bei Luckin Coffee gründete Charles Lu 2021 den Nudelshop Qu Xiaomian. Es heißt, die Kette soll bis zu 100 Millionen Yuan (13 Millionen Euro) auf dem Markt gesucht haben, um eine Bewertung von einer Milliarde Yuan zu erreichen, doch die Bemühungen verliefen im Sande.
  • Ähnlich erging es Lus Marke für küchenfertige Lebensmittel «Shejian Yingxiong», die binnen fünf Monaten 3.000 Geschäfte eröffnen wollte. Das Unternehmen erhielt zwar in zwei Finanzierungsrunden 2,1 Milliarden Yuan, doch die schnelle Expansion kam nicht zustande. Die Finanzierungsbemühungen gerieten ins Stocken und das Unternehmen ging in einer Welle von Geschäftsschließungen unter.

Luckin Coffee wurde wegen des Skandals, der Charles Lu von einem Milliardär in ein potenzielles Kreditrisiko verwandelte, mit einer hohen Geldstrafe belegt. Öffentlich zugängliche Informationen auf einer offiziellen chinesischen Justiz-Website zeigen zehn Vollstreckungsbescheide gegen Lu. Unter dem Strich belaufen sich die auf gut 4,5 Milliarden Yuan, von denen mehr als 3,4 Milliarden Yuan ausstehen. Zu Jenny Qian enthält die Website hingegen keine Einträge.

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Für Risikoträger ist der Zugang zu Finanzmitteln heute schwierig

Das mag erklären, warum Cotti Coffee auf seiner Website Charles Lu nicht namentlich erwähnt, sondern sich auf Jenny Qian, seine Geschäftspartnerin, konzentriert. Die geschäftlichen Beziehungen reichen weit zurück. Qian arbeitete für Lu, als dieser noch CEO von Car Inc. war, und wurde später in die Positionen des Executive Vice President und COO befördert.

Ein chinesischer Private-Equity-Fondsmanager sagte zu den Auswirkungen des Skandals gegenüber «Bamboo Works», der Kapitalmarkt sei von Lu enttäuscht und inzwischen vorsichtig geworden. «Nach der offiziellen Regulierung in den letzten zwei Jahren sind die Investoren konservativer und vorsichtiger, was das Ausgeben von Geld angeht, so dass die Unternehmensfinanzierung nicht mehr so einfach ist wie noch vor einigen Jahren», sagte der Fondsmanager, der nicht namentlich genannt werden wollte.

Ohne Unterstützung durch Fremdkapital können Lu und Qian die Cotti-Kette nur durch die Gewinnung von Franchisenehmern erweitern. Wie das funktioniert, lesen Interessenten auf der Website des Unternehmens – oder zumindest ahnen, denn die chinesische Seite verfügt noch nicht über ein englisches Pendant. Allerdings gibt es seit dem 31. August wenigstens eine englischsprachige Medienmitteilung, so dass Interessenten eine ungefähre Vorstellung vom niederschwelligen Angebot erhalten. Demnach wird keine Franchisegebühr erhoben, und eine Filiale kann schon mit 115.000 Yuan eröffnet werden (14’925,85 Euro). Im Rahmen des Selbstverwaltungsmodells zahlen Geschäfte mit einem monatlichen Bruttogewinn von weniger als 20.000 Yuan (2’595,80 Euro) keine Servicegebühren, darüber hinaus werden jedoch Gebühren von zehn bis 25 Prozent des Bruttogewinns erhoben.

Die Einstiegshürde ist also viel niedriger als bei Luckin. Daher zieht Cotti vor allem aufstrebende Unternehmer mit knapperem Budget an, überwiegend aus der jüngeren Generation. Die niedrigeren Anlaufkosten sind der Hauptgrund für das schnelle Wachstum von Cotti.

Im Vorfeld der Börsennotierung von Luckin Coffee in New York vertrat Qian die Ansicht, dass Kaffee in China nicht als Luxusgetränk vermarktet werden müsse, und sagte, das Unternehmen könne den Preis bis zu fünf Jahre lang stark subventionieren, ohne sich um die Rentabilität sorgen zu müssen.

Ein Unternehmen, das den Absatz durch Subventionen ankurbelt, ohne die Gewinne zu steigern, wirft natürlich Fragen nach der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells auf. Innerhalb von sechs Monaten nach dem Start musste Cotti jetzt die Preise pro Tasse anheben, um den Kapitalverzehr zu verlangsamen. Sicher spielte hier auch die bekannte Dynamik an den Rohstoffmärkten eine Rolle.

Folgt Cotti Coffee dem Modell von Luckin, müsste es als nächstes einen Börsengang anstreben. Eine Notierung in New York kommt aber wohl eher nicht infrage, denn der Skandal um Luckin Coffee schlug seinerzeit Wellen bis nach Europa, obwohl es dort keine einzige Filiale gibt. Auch ein Börsengang in Hongkong ist noch schwer vorstellbar. Deutlich näher an den Ereignissen um Charles Lu und Jenny Qian in der Luckin-Affäre, würden die zuständigen Aufsichtsbehörden das Unternehmen mit Sicherheit sehr genau prüfen und nicht die kleinste Ungereimtheit dulden.

Aus dem Englischen übersetzt, aktualisiert und europäisiert: Backnetz Medien GmbH, Ute Speer – Originalfassung siehe «Ex-Luckin duo brew up new Cotti coffee brand after sales scandal» – von Tina Yip auf thebambooworks.com von April 2023 – Illustrationen: cotticoffee.com – Titelfoto: pixabay.com.