Dienstag, 16. Juli 2024

NRI: Bemühungen der Lebensmittelwirtschaft könnten besser sein

Berlin | Karlsruhe. (bmel / mri) Zu gering seien derzeit die Bemühungen der Lebensmittelwirtschaft, den Einsatz der Kleinkomponenten Zucker, Fette und Salz in ihren Erzeugnissen zu reduzieren. Das stellte das Produktmonitoring 2023 zur Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten (NRI) fest. Das vom Max Rubner-Institut (MRI) durchgeführte Monitoring dient dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit als Grundlage für künftige politische Entscheidungen. Der übermäßige Konsum von Zucker, Fetten und Salz gilt als Ursache für diverse Volkskrankheiten – deren Behandlung ziemlich kostspielig ist und sich der volkswirtschaftliche Schaden in dem Maß weiter potenzieren dürfte, wie Problemlösungen weiter aufgeschoben werden.

Selbstgesteckte Ziele werden nicht erreicht

Bei Wurstwaren und weiteren Fleischerzeugnissen, Brot und Kleingebäck sowie Riegeln sind die Gehalte an Energie, Zucker, Fetten und Salz seit 2020 großteils kaum gesunken. In einigen Fällen haben die Gehalte sogar zugenommen. Dies ist das Ergebnis der aktuellen Erhebung des vom MRI durchgeführten Produktmonitorings, das jetzt veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass unter anderem das von der Lebensmittelindustrie im NRI-Rahmen selbst gesteckte Ziel zur Salzreduktion in erhitzten Fleischerzeugnissen (zum Beispiel Brühwurst und Kochschinken) nicht erreicht wurde. Ausdrücklich weisen BMEL und MRI in ihrem Bericht noch einmal darauf hin, dass ein starker Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzanteil zu Übergewicht und Adipositas sowie anderen Krankheiten wie Diabetes Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen kann.

Viele Produkte für Kinder mit unverändertem Profil

Auch viele Produkte, die mit ihrer Optik explizit Kinder ansprechen, weisen weiterhin hohe Zucker-, Fett- und Salzgehalte auf: Bei Wurstwaren, weiteren Fleischerzeugnissen und Riegeln erfüllen nur wenige Produkte die Kriterien des Nährwertprofilmodells der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Vermarktung gegenüber Kindern. Der mittlere Salzgehalt bei Brot und Kleingebäck ist zwar nah am selbst gesteckten Ziel der Großbäckereien – die Reduktionsbemühungen haben aber nachgelassen. Eine zusätzliche Auswertung des Produktmonitorings zeigt zudem: Bei allen drei hinsichtlich Salz ausgewerteten Produktgruppen (Brot und Kleingebäck, Wurstwaren und weitere Fleischerzeugnisse) ist der Anteil an Produkten mit Jodsalz seit 2020 gesunken.

Bundesminister Cem Özdemir (BMEL): «Die Wurst ist eines der beliebtesten Lebensmittel hierzulande und gehört für viele Menschen zur Brotzeit dazu. Umso wichtiger ist es, dass ihr Genuss einer ausgewogenen, nachhaltigen Ernährung möglichst nicht entgegensteht. Das Produktmonitoring zeigt weiterhin zu hohe Salzanteile bei vielen Produkten, sogar bei jenen, die sich gezielt an Kinder richten. Die produzierenden Betriebe könnten hier einen größeren Beitrag zu einer gesunden Ernährung leisten. Ein weiterer beunruhigender Punkt ist die gesunkene Verwendung von Jodsalz in den untersuchten Produkten. Auch hier kann die Lebensmittelwirtschaft mehr beitragen, denn schon jetzt herrscht ein milder Jodmangel.»

Abschlussbericht zum Monitoring soll 2026 erscheinen

Insgesamt stellt der MRI-Bericht fest, dass die Reduktionsbemühungen der Lebensmittelwirtschaft weiterhin noch nicht ausreichen, um die selbstgesteckten Ziele für eine ausgewogenere Ernährung im erforderlichen Umfang zu unterstützen. Das BMEL hat daher, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, das MRI beauftragt, eine Methodik für die wissenschaftsbasierte Ableitung von Reduktionszielen für Zucker, Fette und Salz in Lebensmitteln zu entwickeln. Dies erfolgt in einem breiten Stakeholder-Prozess (Dialog) mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen der Wissenschaft, von Fachverbänden sowie der Lebensmittelwirtschaft. Kinder und Jugendliche stehen dabei besonders im Mittelpunkt. Einen Abschlussbericht zur NRI wird das BMEL 2026 veröffentlichen.

MRI-Präsident Pablo Steinberg: «Ende dieses Jahres wird der Stakeholder-Prozess (Dialog) abgeschlossen sein. Aktuell werden die Ergebnisse aus der Arbeitsphase zusammengestellt und Mitte August 2024 einem größeren Kreis präsentiert. Dabei spielen gesundheitliche Reduktionsnotwendigkeiten ebenso eine Rolle wie die mit der Reformulierung von Lebensmitteln verbundenen technologischen Herausforderungen oder die Lebensmittelsicherheit und die Verbrauchererwartungen. Umso mehr freuen wir uns, dass es im Stakeholder-Prozess (Dialog) gelungen ist, zahlreiche Experten an einen Tisch zu bringen. Nur gemeinsam können wir diese anspruchsvolle Aufgabe meistern.»

(Anm.d.Red.: Der Begriff «Stakeholder-Prozess» kommt aus der sozial-ökologischen Forschung und meint neudeutsch den strukturierten Dialog zwischen einer Organisation respektive Anspruchsgruppe und deren Umfeld. Das geht aus dem Text hinreichend hervor – zumal er sich mit nichts anderem befasst. Im Sinne der Lesbarkeit sollte deshalb ein traditioneller «Dialog» ausreichend sein. Anmerkung Ende.)

Hintergrund zu und Vorgeschichte der Bemühungen

Bestandteil der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie ist eine 2018 geschlossene Grundsatzvereinbarung zwischen Politik und Lebensmittelwirtschaft. Im Rahmen der Strategie haben sich unter anderem die Liefer-Großbäckereien zu einem durchschnittlichen Salzgehalt von 1,1 Gramm je 100 Gramm über das gesamte verpackte Backwarensortiment bis 2025 verpflichtet. Die Fleischwarenindustrie hatte sich zum Ziel gesetzt, das Salz in erhitzten Fleischerzeugnissen mit besonders hohen Gehalten bis 2023 deutlich zu senken. Zur Überprüfung der Fortschritte hat das BMEL das MRI mit einem Monitoring der Zucker-, Fett-, Salz- und Energiegehalte von verpackten Fertigprodukten beauftragt.

Nach Basiserhebungen in den Jahren 2016 und 2018 führt das MRI seit 2019 jährlich weitere Folge- und Basiserhebungen durch. Mit der Erhebung 2023 liegt die zweite Folgeerhebung von Brot und Kleingebäck, einer Auswahl an besonders absatzstarken Wurstwaren und weiteren Fleischerzeugnissen (zum Beispiel Frikadellen und Nuggets) sowie von Riegeln (zum Beispiel Müsli-, Nuss- und Proteinriegel sowie Fruchtschnitten) vor. Untersucht wurden 6.000 Produkte, davon 1.282 Brote und Kleingebäcke, 2.603 Wurstwaren, 438 weitere Fleischerzeugnisse sowie 1.677 Riegel. Dabei wurden 229 Produkte mit Kinderoptik identifiziert, mehr als die Hälfte davon in der Produktgruppe der Riegel.

Insgesamt sind im Vergleich zu 2020 nur geringfügige Reduktionen feststellbar. Produkte mit Kinderoptik weisen im Vergleich zur jeweiligen Gesamtstichprobe oder/und vergleichbaren Produkten ohne Kinderoptik mehrheitlich ähnliche oder niedrigere Energie- und Nährstoffgehalte auf. Die Ergebnisse bekräftigen die im zweiten NRI-Zwischenbericht gezogenen Schlussfolgerungen, dass die Bemühungen der Lebensmittelwirtschaft um Reduzierung noch nicht ausreichen, um eine ausgewogene Ernährung im erforderlichen Umfang zu unterstützen.