Dienstag, 16. Juli 2024
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Bundeskartellamt: Für Amazon gelten verschärfte Regeln

Bonn. (bund) Das Bundeskartellamt hat jetzt entschieden, dass die Amazon.com Incorporated mit Hauptsitz in Seattle, USA, ein Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Damit unterfällt Amazon gemeinsam mit seinen Tochterunternehmen der erweiterten Missbrauchsaufsicht des Paragrafen 19a GWB. Die Vorschrift des Paragrafen 19a GWB ist aufgrund einer Gesetzesänderung seit Januar 2021 in Kraft. Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts: «Amazon ist der zentrale Schlüsselspieler im E-Commerce. Die Angebote des Konzerns unter anderem als Händler, Marktplatz, Streaming- und Cloud-Anbieter sind zu einem digitalen Ökosystem verbunden. Wir haben entschieden, dass der Konzern auch im kartellrechtlichen Sinne ein Unternehmen von überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Konkret bedeutet dies, dass wir bei Amazon mögliche wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen gezielt aufgreifen und unterbinden können, und zwar effektiver als das bisher der Fall war. Bei seinen Marktplatzdienstleistungen für Dritthändler halten wir Amazon für marktbeherrschend. Damit greift hier zusätzlich die parallel anwendbare klassische Missbrauchsaufsicht, auf deren Grundlage wir derzeit schon Verfahren gegen Amazon führen.»

Amazon gehört mit weltweiten Umsatzerlösen von rund 400 Milliarden Euro im Jahr 2021, davon zirka 32 Milliarden Euro in Deutschland, zu den umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Nach Einschätzung des Bundeskartellamtes wird mehr als jeder zweite Euro im deutschen Online-Einzelhandel auf der Amazon-Handelsplattform (amazon.de) ausgegeben. Neben der E-Commerce-Tätigkeit als Händler und Marktplatz gehören zu den Angeboten von Amazon an Endkunden auch digitale Inhalte (zum Beispiel Filme, Serien oder Musik) im sog. Prime-Abonnement. Für Unternehmen – besonders Dritthändler – bietet Amazon neben den Marktplatzdienstleistungen weitere Dienstleistungen unter anderem im Bereich Logistik, Werbung und Zahlungsabwicklung an. Im Bereich des Cloud-Computing gilt Amazon mit Amazon Web Services (AWS) mittlerweile als führend und erzielt dadurch einen Großteil seiner Konzerngewinne (etwa 56 Prozent des Jahresüberschusses in 2021).

Amazons überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne des Paragrafen 19a Absatz 1 GWB verschafft dem Unternehmen eine Machtposition, die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet.

Zunächst hat das Unternehmen durch die unter amazon.de betriebene Handelsplattform eine zentrale strategische Position im deutschen Online-Einzelhandel. Bei Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler in Deutschland verfügt Amazon über einen umsatzbezogenen Marktanteil von über 70 Prozent und ist damit nach Auffassung des Bundeskartellamtes marktbeherrschend. Die enorme Bedeutung der Amazon-Handelsplattform wird durch die eigene Einzelhandelstätigkeit auf der Plattform sogar noch verstärkt (sogenannte Hybridstruktur). Damit einher geht eine Regelsetzungsmacht, die erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit und den Geschäftserfolg anderer Unternehmen eröffnet. Das bedeutet, Amazon kann den Zugang anderer Unternehmen zu Absatz- und Beschaffungsmärkten kontrollieren und dabei seine Doppelrolle als Händler und Marktplatz ausspielen. Sein breites Portfolio an Geschäftstätigkeiten hat Amazon zu einem stark integrierten digitalen Ökosystem verbunden, das dazu beiträgt, Nutzergruppen im Ökosystem zu halten. Eine besondere Rolle spielt dabei das Prime-Abonnement, mit dem Endkunden neben einer versandkostenfreien Lieferung vielfältige weitere Dienstleistungen angeboten werden. Weltweit verfügen mehr als 200 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer über ein kostenpflichtiges Prime-Abonnement. Zudem verfügt Amazon über erhebliche Ressourcen wie wettbewerbsrelevante Daten und eine starke Finanzkraft.

Die Entscheidung des Bundeskartellamtes ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben auf fünf Jahre befristet. Innerhalb dieses Zeitraumes unterliegt Amazon in Deutschland der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt nach Paragraf 19a Absatz 2 GWB. Das Bundeskartellamt hat zu seiner Entscheidung einen Fallbericht veröffentlicht, den Interessenten auf den Webseiten der Kartellwächter abrufen können.

Weitere Amazon-Verfahren im Hintergrund

Gegen Amazon führt das Bundeskartellamt aktuell zwei Verfahren nach den Regelungen der klassischen Missbrauchsaufsicht, die schon vor der jüngsten Gesetzesnovelle gültig waren. In einem Verfahren untersucht das Bundeskartellamt, inwieweit Amazon durch Preiskontrollmechanismen oder/und Algorithmen Einfluss auf die Preissetzung der auf dem Amazon-Marktplatz tätigen Händler nimmt. In einem zweiten Verfahren prüft das Bundeskartellamt inwieweit Vereinbarungen zwischen Amazon und Markenherstellern, unter anderem Apple, die Dritthändler vom Verkauf von Markenprodukten auf dem Amazon Marktplatz ausschließen, einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln darstellen. Schon 2018 hatte das Amt mit einem Missbrauchsverfahren Amazons Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen gegenüber Dritthändlern aufgegriffen. Das 2019 abgeschlossene Verfahren hatte weitreichende Verbesserungen für die Händler erwirkt (Foto: amazon.de).