Dienstag, 16. Juli 2024

Internorga Rückblick 2022: Wie lautet der Plan?

Hamburg. (usp) Wie unterschiedlich Veranstaltungen wahrgenommen werden können, zeigt der Rückblick auf die Internorga 2022, die in dieser Woche ihre Pforten schloss. Jedenfalls weicht der vorläufige Schlussbericht aus der Feder der Hamburg Messe und Congress GmbH (HMC) merklich ab von dem, was Aussteller (m/w/d) und Besucher (m/w/d) während der Fachmesse wahrnehmen konnten. Seit gut 20 Jahren regelmäßig auf dem Hamburger Messegelände unterwegs, wollte der WebBaecker in diesem Jahr eigentlich darauf verzichten, auf Ungereimtheiten hinzuweisen. Dann das: Der Tenor, den die Veranstalter für die Internorga beanspruchen, konnte die Ausgabe 2022 nur bedingt erfüllen. Zudem lässt die Messegesellschaft in ihrem Rückblick nicht erkennen, ob sie sich der tieferen Dynamik der oberflächlichen Wellen bewusst ist. Wir können also nicht einfach darüber hinweggehen, sondern müssen direkt fragen: Wie steht es um die Pläne für die Fachmesse Internorga, damit sie zügig Anschluss finden kann an eine Zukunft, wie sie sich zunehmend manifestiert? Nicht denglische PR-Phrasen, sondern handfeste Visionen und Kompetenzen sind gefragt weit über den gegenwärtigen hamburgischen Tellerrand hinaus.

Fotogalerie: Bilder zum Vergrößern bitte anklicken

Warnhinweise nicht länger ausblenden

Dies ist um so dringlicher, je länger die Akteure an einer unrunden, unpassenden und jetzt auch noch überholten «konzeptionellen Neuausrichtung» festhalten. Vor mehr als vier Jahren erdacht, wurde sie nahezu unverändert in diesem Jahr erstmals realisiert. Dazwischen lag nicht nur die Covid-19 bedingte Pause 2020, sondern auch die von der HMC vermasselte digitale «IDX_FS International Digital Food Services Expo 2021». Das Durcheinander auf der Internorga-Homepage ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Messegesellschaft den passenden Faden noch sucht für eine post-pandemische Welt mit deutlich mehr Kommunikationskanälen, als ein traditioneller Veranstalter sie vor Jahren zur Kenntnis nehmen musste.

Jedenfalls lässt sich der Innovationsstau im Herzen der Hansestadt nicht einfach mit einer Handbewegung fortwischen, in dem man sagt, die Internorga 2022 sei fünf Tage lang die «Anlaufstelle für das Who’s who des gesamten Außer-Haus-Markts» gewesen. Angesichts 48.000 Besuchern, die die Angebote von 950 Ausstellern aus 27 Nationen prüften, wirft diese Behauptung mehr als eine Frage auf. Zum Vergleich: Im Frühjahr 2019 zählte die Fachmesse 96.000 Besucher sowie 1.300 Aussteller aus 25 Nationen. Für Kopfschütteln sorgt zudem die Begründung, neben Covid-19 sei hauptsächlich der «Personalmangel in den Unternehmen» für den Besucherrückgang (50 Prozent!) verantwortlich. Das ist ziemlich gewagt und zeigt, mit welchen Denkblockaden die Hamburg Messe und Congress GmbH noch zu kämpfen hat.

Die Messewirtschaft ist im Umbruch

Selbstverständlich gab und gibt es weiterhin Messehallen, die funktionieren. Keine Frage. Die Logik der Neuausrichtung an sich erschloss sich indes kaum. In Erinnerung bleibt den Besuchern ein Krimskrams-Laden in dem Sinn, dass strukturell ordnende Anker-Aussteller an vielen Stellen fehlten. Wenn statt 1.300 nur noch 950 Unternehmen ausstellen, dann ist es nicht nur schwer, leere Flächen zu verbergen. Es ist auch schwer zu verbergen, dass es weit überwiegend große Anker-Aussteller sind, die an der Internorga 2022 nicht teilnahmen. Während Deutschland nicht in der Lage ist, seine Pandemie-Wellen besser zu steuern und irgendwo im Übergang zur Endemie steckt, sind andere Regionen dieser Welt natürlich auf dem Sprung. Sie müssen sich nicht groß anstrengen, um bundesdeutschen Messegesellschaften Marktanteile wegzunehmen. Jede multinationale Veranstaltung, die in Deutschland nicht oder nicht zeitgemäß stattfindet birgt die Gefahr, dass sich das Zentrum des Geschehens schnell in ein anderes Land oder auf einen anderen Kontinent verlagert. Untertitel wie «Weltleitmesse» oder «Internationale Leitmesse» haben deshalb zunehmend ausgedient hierzulande, weil es weltweit längst Pendants gibt, die mindestens ebenso bedeutend sind. Europa ist nicht der Nabel der Welt.

Global agierende Unternehmen auf der Ausstellerseite prüfen sehr genau den Nutzwert, den eine Messe für sie haben kann. Sie halten nicht aus alter Treue an Veranstaltungen fest sondern gehen dorthin, wo die Kosten-Nutzen-Rechnung stimmt. Hinzu kommen neue Kommunikationskanäle, die abseits des traditionellen Messegeschehens zunehmend Bedeutung erlangen.

Auch Fachbesucher prüfen zunehmend den Nutzwert, den Veranstaltungen für sie haben. Der traditionelle Betriebsausflug ist längst Geschichte. Doch könnten Fachmessen heute die ihnen zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle deutlich besser nutzen, um sich in Sachen Kunden- respektive Besucherpflege zu steigern. Die persönliche Begegnung ist nach wie vor ein Pfund, mit dem die Messewirtschaft wuchern kann. Doch werden eine sinkende Reisebereitschaft, die Schonung aller möglichen Ressourcen im Sinn des Klimaschutzes und nicht zuletzt die neuen Gewohnheiten nachwachsender Entscheidungsträger dafür sorgen, dass sich die Messewirtschaft ändern muss.

In der Messewirtschaft verschieben sich die Kompetenzen

Schon vor Covid-19 war abzusehen, dass es in der Messewirtschaft nicht so weitergehen kann wie bisher. Lange war unklar, in welche Richtung sich das klassische Geschäftsmodell entwickeln könnte. Jetzt ist klar: Je länger Messegesellschaften den Wandel ignorieren, desto mehr Einfluss auf ihre Zielgruppen werden sie verlieren. Sie sitzen an den Schnittstellen zwischen Angebot und Nachfrage. Ihre Aufgabe ist es, neue Formate zu finden, die Angebot und Nachfrage mit eindeutigem Nutzwert effizient verbinden. Dort, wo die digitale Marketingwirtschaft längst den direkten Kundenkontakt sucht, gelingt es ihr vielleicht, sich als zusätzliche Schnittstelle zu etablieren. Messegesellschaften müssen weder Aussteller noch Besucher verlieren. Sie müssen nur beide auf geeigneten Kommunikationswegen mit geeigneten Mitteln abholen.

Was hat das alles mit der Internorga 2022 zu tun?

Die nächste Internorga findet vom 10. bis 14. März 2023 statt. Unterdessen hat die Hamburg Messe und Congress GmbH (HMC) während der Internorga 2022 gezeigt, dass sie das Thema Bäckerei und Konditorei nicht mehr beherrscht. Nicht zuletzt durch das Hin und Her der letzten Jahre hat sie es verspielt. Nicht wenige (Anker-) Aussteller haben daraus Konsequenzen gezogen. Nicht wenige Besucher bleiben fern, weil sie das für sie relevante Angebot (a) nicht mehr vorfinden oder (b) so vorfinden, wie sie es auch woanders finden würden. Natürlich ist es schade, dass Norddeutschland jetzt keine Bäckermesse mehr hat. Andererseits wird die Branche immer übersichtlicher, die Betriebe größer und die Kommunikationswege ändern sich. In Abwägung von Nutzwert und Effizienz wird sich die Branche künftig wohl eher dort treffen, wo ihre Interessen bedient werden. Das heißt nicht, dass man sich zum Beispiel in Stuttgart oder München auf die persönliche Begegnung als Pfund verlassen sollte. Zusätzliche digitale Angebote werden künftig jede Fachmesse unterstützen müssen und umgekehrt. Der parallele hybride Austausch ist keine Besonderheit mehr sondern dürfte selbstverständlich sein – meint Ihre Ute Speer (Fotos: usp).