Dienstag, 16. Juli 2024

Deutsche Wissenschaftsakademien fordern zügige Öko-Wende

Halle / Saale. (naw) Die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft ist in Deutschland in den letzten Jahren, selbst in Naturschutzgebieten, stark zurückgegangen. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme «Biodiversität und Management von Agrarlandschaften» geben die deutschen Wissenschaftsakademien Empfehlungen in acht Handlungsfeldern. Begleitend zur Stellungnahme stellt die Leopoldina ein digitales Dossier zur Verfügung, welches das Thema anschaulich und interaktiv aufbereitet.

Die Akademien benennen den Schutz der Artenvielfalt als eine dringende und komplexe Herausforderung. Es bedürfe eines gesamtgesellschaftlichen Wandels hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Wichtig sei es, dabei die ökonomischen, politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft zu berücksichtigen. Daher empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine systemische Herangehensweise mit vielfältigen, parallelen Lösungsansätzen. Der wichtigste Ansatzpunkt seien die Subventionszahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP). Diese sollten zukünftig stärker an tatsächlich erbrachte und messbare Ökosystemleistungen geknüpft werden.

Der beobachtete Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft in Deutschland wird zukünftig die Funktionsfähigkeit der Agrarökosysteme einschränken und spürbare Folgen für Mensch und Umwelt haben. Die Expertinnen und Experten weisen darauf hin, dass sich der Wert der Biodiversität nicht nach rein ökonomischen Kriterien bemessen lässt. Verursacht sehen sie den Rückgang an Tier‐ und Pflanzenarten durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Diese seien auf intensivierte Landnutzung und biologisch-technische Innovationen zur Produktionssteigerung zurückzuführen.

Die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme sehen akuten Handlungsbedarf, um die Biodiversität in der deutschen Agrarlandschaft zu schützen und zu fördern. Künftige Rahmenbedingungen sollten Landwirtinnen und Landwirte aktiv dabei unterstützen, biodiversitätsfreundlich zu wirtschaften. Durch eine Kombination der vorgeschlagenen Maßnahmen ließe sich der Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft nicht nur aufhalten, sondern auch wieder umkehren, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Stellungnahme zeigt Handlungsoptionen in acht Bereichen auf:

  1. Weiterentwicklung der Agrar- und Umweltpolitik auf europäischer und nationaler Ebene: Die Akademien empfehlen unter anderem eine engere Kopplung von Agrar- und Umweltpolitik. GAP-Förderinstrumente sollten sich auf zielorientierte Maßnahmen fokussieren und Subventionszahlungen an die Landwirtschaft an erbrachte und messbare Ökosystemleistungen geknüpft werden.
  2. Anpassung des Agrar- und Umweltrechts: Die Schaffung eines EU-Landwirtschaftsgesetzes würde die Umweltschutzvorschriften für die Betriebe rechtlich verankern und gleichzeitig Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU vermeiden. Bestehende Rechtsvorschriften sollten konsequenter vollzogen werden.
  3. Entwicklung von planungsbasierten, regional differenzierten und gemeinschaftlichen Ansätzen: Ziel solcher Anpassungen in der Landschaftsplanung sei eine geänderte Landnutzung in enger Zusammenarbeit aller beteiligten Akteurinnen und Akteure. Dabei sollte ein Teil der zur Verfügung stehenden Flächen zukünftig entweder aus der landwirtschaftlichen Produktion genommen oder deutlich weniger intensiv genutzt werden.
  4. Verantwortung der Kommunen: Als sichtbare Vorreiter und Multiplikatoren sollten sie sich stärker dafür einsetzen, die biologische Vielfalt auf ihren Flächen zu erhalten, zu pflegen und zu erhöhen.
  5. Einfluss durch Handel und Märkte: Produkte aus regionaler biodiversitätsfreundlicher Produktion sollten im Handel entsprechend gekennzeichnet werden. Zudem müsse die Infrastruktur verbessert werden, um regionale landwirtschaftliche Produkte lokal weiterverarbeiten zu können. Darüber hinaus gelte es, Lebensmittelverluste zu verringern.
  6. Unterstützung von landwirtschaftlichen Betrieben: Für landwirtschaftliche Betriebe muss biodiversitätsfreundliche Produktion wirtschaftlich attraktiv sein. Sie sollten bei der Umsetzung entsprechender Bewirtschaftungsmethoden sowie bei Investitionen in innerbetrieblichen Naturschutz unterstützt werden. Neben dem ökologischen Landbau sollten innovative Konzepte für den integrierten Anbau ausgebaut und kontinuierlich weiterentwickelt werden.
  7. Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Wertschätzung: Das Bewusstsein für die Bedeutung biologischer Vielfalt in der Agrarlandschaft sollte grundlegend gestärkt werden und müsse sich auch in einem geänderten Konsumverhalten zeigen. Besonders wichtig sei es, die Bereitschaft zum Kauf biodiversitätsfreundlicher Produkte zu erhöhen und den Fleischkonsum zu reduzieren.
  8. Ausbau von Monitoring und Forschung: Es brauche ein langfristiges, bundesweites und standardisiertes Monitoring sowie Forschung, um die Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt überprüfen sowie ein breites und repräsentatives Spektrum an Arten und Lebensräumen dokumentieren zu können.

Geleitet wird die Akademien-Arbeitsgruppe «Biodiversität in der Agrarlandschaft» von Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt am Main, Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie an der Universität Freiburg, sowie Prof. Dr. Wolfgang Wägele, ehemaliger Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn. Die ausführliche Stellungnahme «Biodiversität und Management von Agrarlandschaften» gibt es auf leopoldina.org zum Download. Begleitend zur Stellungnahme stellt die Leopoldina ein Digitales Dossier Artenvielfalt zur Verfügung, das das Thema anschaulich und interaktiv aufbereitet (Foto: pixabay.com).
 


Weitere Stellungnahmen zum EU-Agrarrat und ein Kommentar

Bremerhaven. (21.10. / eb) Die Ergebnisse des EU-Agrarrats in Bezug auf die Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) werfen einmal mehr die Frage auf, wie weit sich der Politikbetrieb vom wirklichen Leben entfernt hat. Auch regiert der Deutsche Bauernverband (DBV) nach wie vor relativ unverfroren und ungehindert bis nach Brüssel durch. Als Stellvertreter der Chemie- und Agrarindustrie vertritt der DBV schon lange nicht mehr die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland. Seine «Schläfer» sitzen jedoch seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland an allen für ihn wichtigen Schaltstellen der Macht und setzen die Interessen des Verbands konsequent um. Wer an den Schalthebeln der Macht sitzt, der sitzt natürlich auch an den Subventionstöpfen. Wie sonst ist zu erklären, dass Europas Steuerzahler heute 390 Milliarden Euro allein dafür blechen müssen, dass zu viel und zu billig produziert wird? In nicht allzu ferner Zukunft werden Europas Steuerzahler noch eine weitere Rechnung präsentiert bekommen – nämlich wenn es darum geht, die Umweltschäden zu korrigieren, die diese zerstörerische Form der Agrarwirtschaft nach wie vor anrichten darf. Die Kritik aus dem Umweltschutz und der bäuerlichen Landwirtschaft an den aktuellen Beschlüssen ist deutlich und nahezu einhellig. Die folgende Auswahl an Stellungnahmen hätte beliebig fortgeführt werden können, bildet aber schon das gesamte Spektrum ab:
 
 

Demeter: Klima und Umwelt sind Europa egal

Darmstadt. (dev) Der Hoffnung, dass mit den klaren Leitplanken der Farm-to-Fork Strategie nun die EU-Agrarpolitik endlich zukunftsfähig reformiert wird, haben EU-Agrarministerrat und EU-Parlament den Wind aus den Segeln genommen – registriert der Demeter Verband die Beschlüsse mit Entsetzen.

Bioland: Europa zementiert den agrarpolitischen Stillstand

Mainz. (bl) Rückschritt statt Systemwechsel. Europa zementiert den umweltpolitischen Stillstand in grünem Geschenkpapier. Jan Plagge, Präsident des Bioland Verbands, kommentiert die Richtungsbeschlüsse vom Agrarrat und Europaparlament zur GAP-Reform einigermaßen fassungslos.

Die Grünen: Klöckners «Systemwechsel» ist ein Etikettenschwindel

Brüssel / BE. (efa) Auch wenn es kaum noch was nützt: So einfach wollen die Grünen im Europäischen Parlament Agrarministerin Julia Klöckner mit ihrer ungenauen Erklärung zu den Beschlüssen des Agrarrats nicht davonkommen lassen und haben ein paar Fakten gegenübergestellt.

Naturland: Anti-Reform-Deal ist Verrat an Umwelt- und Klimaschutz

Gräfelfing. (nl) Als Verrat an Umwelt- und Klimaschutz kritisiert der Öko-Verband Naturland die Beschlüsse von EU-Agrarrat und EU-Parlament zur GAP-Reform. Mit diesem Anti-Reform-Deal werde nicht die Zukunft der europäischen Landwirtschaft gestaltet, sondern ihre Vergangenheit auf Jahre hinaus festgeschrieben.

20201024-MONDFAHRT

EU-Agrarpolitik: Wie aus dem Green Deal Ursulas Mondfahrt wird

Bremerhaven. (usp) Aus den hochfliegenden Plänen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist nicht viel geworden. Man mag sie nicht mal mehr mit einem Tigersprung vergleichen. Für künftige Generationen kann man nur hoffen, dass sie nicht vollständig als Bettvorleger enden.

EU-Biodiversitätsstrategie: «Agrarminister sabotieren Masterplan»

Berlin. (nabu) Der EU-Umweltrat erteilte der EU-Biodiversitätsstrategie grünes Licht. Ein großer Erfolg von Bundesumweltministerin Svenja Schulze angesichts der Haltung des EU-Agrarrats. Der setzt, mit Agrarministerin Julia Klöckner an der Spitze, weiterhin auf Boykott und tut so, als gäbe es die großen Schäden nicht, die die Agrarindustrie nachweislich verursacht hat – und weiterhin verursachen darf.

20200929-PESTIZIDE

Deutsche Wissenschaftsakademien fordern zügige Öko-Wende

Halle / Saale. (naw) Die biologische Vielfalt ist hierzulande stark zurückgegangen. Die deutschen Akademien der Wissenschaften geben Empfehlungen, was zügig zu tun wäre.

Arge bäuerliche Landwirtschaft: So werden keine Probleme gelöst!

Hamm / Westfalen. (abl) Sowohl EU-Parlament als auch Agrarrat haben weitreichende Entscheidungen zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) getroffen. Elisabeth Fresen, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), kommentiert die Beschlüsse.

20201021-KAUFEN

Greenpeace: Klassische Klientelpolitik für Großbetriebe

Hamburg. (gpd) Unter Leitung von Agrarindustrieministerin Julia Klöckner hat sich der EU-Agrarministerrat auf eine gemeinsame Position zur GAP-Reform geeinigt. Die ohnehin schon schwache Vorlage der EU-Kommission sei nun bis zur Unkenntlichkeit verwässert, meint Greenpeace.

WWF: EU-Agrarreform Katastrophe für Natur- und Klimaschutz

Berlin. (wwf) WWF Deutschland hält sich nicht lange an der Klientelpolitik für Großbetriebe und Chemiekonzerne auf, sondern richtet seinen Fokus auf die verpassten Chancen im Natur- und Klimaschutz für alle Bürger. Das Artensterben darf weitergehen und die Zukunft künftiger Generationen gefährden.

20201021-KRIEG

NABU: Agrarminister erteilen Green Deal eine Kampfansage

Berlin. (nabu) Die Einigung der EU-Agrarminister zur künftigen gemeinsamen Agrarpolitik bewertet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) als Armutszeugnis für die Politik.

Bitter: Agrarministerin fährt Chance bewusst an die Wand

Berlin. (heb) Harald Ebner, MdB, Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, kritisiert den Kompromiss im Agrarrat scharf und wirft Ministerin Julia Klöckner vor, den Green Deal bewusst aushebeln zu wollen. Kommissionspräsidentin von der Leyen werde vorgeführt.

20201021-BAGGER

Die Grünen: EU-Agrarminister beerdigen den Green Deal

Brüssel / BE. (efa) Mit dem Beschluss des EU-Agrarrats für die künftige Gemeinsame Agrarpolitik ist der groß angekündigte Green Deal beerdigt worden, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament.

Green Deal: Stellungnahme der Agrarministerin

Berlin. (eb) Rückwärtsgewandte Politik ist schlecht für die Bauern und schlecht für die Umwelt. Belohnt wird weiterhin, wer zu billig und zu viel produziert. Julia Klöckner hat einmal mehr gezeigt, wessen Geistes Kind sie ist. Die originale Mitteilung für die Medien aus dem BMEL gibt es hier zum Nachlesen.

 
Kommentar: Rückwärtsgewandte Klientelpolitik ist schlecht für echte Bauern und schlecht für die Umwelt. Belohnt wird weiterhin, wer zu billig und zu viel produziert. Julia Klöckner hat einmal mehr gezeigt, wessen Geistes Kind sie ist. Nicht, dass das noch irgendwen überraschen könnte – wäre das Ergebnis nicht so traurig für den Umwelt- und den Artenschutz, für künftige Generationen und eine lebenswerte Zukunft. Es gehört schon ziemlich viel Chupze dazu, die politische Breitseite gegen die Ziele der EU-Kommission als «Meilenstein» und «Systemwechsel» zu verkaufen. Alles soll bleiben wie es ist – das ist die Botschaft.