Bonn. (bzfe) Vom Saatgut bis zur Semmel stehen für die Getreidekette nicht nur Qualität und Sicherheit ihrer Produkte im Fokus, sondern zunehmend auch die Frage, welche verbraucherorientierten Produktinformationen sinnvoll sind. Auf dem 12. Wissenschaftlichen Symposium des Verbands der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS) Anfang November in Würzburg diskutierten dazu Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.
Täglich müssen wir bis zu 200 Ess-Entscheidungen treffen. Viele davon fallen beim Lebensmitteleinkauf erst am Regal, wo bis zur Kaufentscheidung im Durchschnitt nur eine Betrachtungszeit von einer Sekunde vergeht. Mit diesen Fakten zum Lebensmitteleinkauf beschrieb die Göttinger Konsumforscherin Dr. Anke Zühlsdorf die Ausgangslage für Lebensmittelkommunikation: «Wenige Schlüsselinformationen auf der Schauseite der Verpackung prägen den Gesamtqualitätseindruck.» In einer repräsentativen Studie hat sie ein hohes Gesundheitsinteresse, aber auch große Unsicherheiten beim Lebensmitteleinkauf festgestellt: Für drei Viertel der Befragten ist es wichtig zu erfahren, wie gesund ein Lebensmittel ist, jedoch können nur 20 Prozent das auch beim Einkauf am Produkt erkennen. Bei den bereits vorhandenen Angaben auf Lebensmittelverpackungen gibt es – zumindest gefühlt – ein Informationsdefizit: Nur 22 Prozent meinen, dass «auf Lebensmitteln alles draufsteht, was ich wissen muss», und nur jede(r) Dritte findet die Informationen «im Großen und Ganzen gut verständlich». Hinzu kommt ein Vertrauensproblem, was die Angaben bzw. Aussagen auf Lebensmittelverpackungen betrifft: Einerseits glauben 70 Prozent, hier werde «viel getrickst». Andererseits sagt ein Drittel der Befragten «Bisher bin ich bei Lebensmitteln selten getäuscht worden», und für 18 Prozent sind die Aussagen vertrauenswürdig. «Valide Kennzeichnungs-systeme, die ernährungsphysiologische Unterschiede zwischen verschiedenen Lebensmitteln transparent machen, können Verbrauchern gesundheitsorientierte Entscheidungen erleichtern und die Ernährungsberatung unterstützen», skizzierte Zühlsdorf einen erfolgversprechenden Weg.
Als Sozialwissenschaftlerin begrüßte Anke Zühlsdorf vor diesem Hintergrund die geplante Einführung des Nutri-Score, weil solche interpretativen Labels als wirksamer eingeschätzt werden als beschreibende Kennzeichnungsformen. «Labeling erhöht die Anzahl der Personen, die eine gesunde Lebensmittelvariante wählen, um durchschnittlich 18 Prozent», zitierte die Konsumforscherin eine aktuelle Meta-Analyse. Gleichzeitig warnte sie jedoch vor damit verbundenen überzogenen Hoffnungen: «Label können helfen, sind aber keine Allheilmittel.»
Dr. Martin Liehr, Ökotrophologe aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), beleuchtete das Thema ernährungspolitisch. «Mit ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, das bestehende Nährwertkennzeichnungs-System für Deutschland weiterzuentwickeln und gegebenenfalls zu visualisieren», umriss Liehr den ernährungspolitischen Auftrag. Er machte den Prozess transparent, der zur Entscheidung «pro Nutri-Score» geführt hat, und avisierte einen Fahrplan zur Umsetzung: «Auf der Grundlage der Studienergebnisse hat das BMEL im Oktober 2019 den Entwurf eines Rechtsaktes vorgelegt, mit dem der Nutri-Score im deutschen Recht verankert werden soll. Nach dem Durchlaufen des Rechtsetzungsprozesses und des erforderlichen Notifizierungsverfahrens bei der EU-Kommission sollte dieser Rechtsakt voraussichtlich im Laufe des Jahres 2020 in Kraft treten», schließt das BZfE Bundeszentrum für Ernährung aus Bonn seine Zusammenfassung.
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