Dienstag, 16. Juli 2024
20151027-GFK-EU-KAUFKRAFT-11

Kaufkraft in Europa: Ein Mittelfeld gibt es nicht

Nürnberg. (gfk) Die Kaufkraft in Europa ist in diesem Jahr um gut vier Prozent gestiegen. Allerdings variiert das verfügbare Nettoeinkommen nicht nur innerhalb der Regionen Europas, sondern auch innerhalb der untersuchten 42 Länder zum Teil sehr deutlich. Wie viel sich die Menschen leisten können, hängt also stark davon ab, wo sie leben.

Insgesamt stehen den europäischen Verbrauchern für das Jahr 2015 etwa 9,13 Billionen Euro für ihre gesamten Ausgaben sowie zum Sparen zur Verfügung. Dies entspricht einer durchschnittlichen Kaufkraft von 13.636 Euro pro Einwohner der 42 Studienländer. Damit haben die Europäer pro Kopf rund 4,2 Prozent mehr zur Verfügung als noch im letzten Jahr. Dies bedeutet in vielen Ländern auch real eine Steigerung. Denn die Inflationsrate wird laut der Europäischen Zentralbank für das Gesamtjahr 2015 im Euroraum bei 0,2 Prozent liegen.

Wieviel die Verbraucher für ihre Konsumausgaben zur Verfügung haben, unterscheidet sich stark nach Region und Land. Die ost- und südeuropäischen Länder haben zwar über die Jahre trotz Wirtschaftskrisen ein gewisses Kaufkraftwachstum erlebt. Dennoch liegen sie weit hinter den West- und Nordeuropäern. Ein «Mittelfeld» gibt es nicht. Das einzige Land, das im europäischen Durchschnitt liegt, ist Spanien mit 13.203 Euro pro Kopf.

Die Verbraucher in den Top 10 Ländern verfügen mindestens über das 1,5-Fache des europäischen Durchschnitts – in Liechtenstein gar das 4,8-Fache. Dem gegenüber stehen 26 Länder, die unterhalb des europäischen Durchschnitts liegen. Die vier einwohnerreichsten Länder – Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien – vereinen etwa 40 Prozent der Bevölkerung Europas und sogar fast 60 Prozent der verfügbaren Kaufkraft.

Spaniens Kaufkraft: im europäischen Durchschnitt Spanien markiert mit einer pro-Kopf Kaufkraft von 13.203 Euro in etwa den europäischen Durchschnittswert. Damit steht es im europäischen Mittelfeld auch allein auf weiter Flur auf Rang 17. Denn das nächste kaufkraftstärkere Land, Italien, weist mit 16.193 Euro schon eine Kaufkraft auf, die rund 19 Prozent über dem europäischen Schnitt liegt. Und das nächst-schwächere Land, Malta, liegt weit abgeschlagen bei 10.753 Euro pro Kopf. Mit dieser Summe verfügen die Maltesischen Verbraucher bereits über 21 Prozent weniger Kaufkraft als der europäische Durchschnitt.

Die Einwohner der reichsten Provinz Spaniens, Gipuzka, haben mit rund 17.441 Euro pro Kopf etwas mehr Kaufkraft als die Menschen in den Niederlanden. Damit liegen sie rund ein Drittel über dem spanischen Durchschnitt. Die Bewohner von Cadiz, der kaufkraftschwächsten Provinz, kommen hingegen im Schnitt nur auf 8.943 Euro pro Kopf. Das ist ein Drittel weniger als der Landesdurchschnitt (Landesindex: 67,7). Genau im Durchschnitt liegen die Bewohner Valladolids mit 13.224 Euro pro Kopf.

Pariser verfügen in Frankreich über die höchste Kaufkraft

Frankreich kommt auf eine durchschnittliche Kaufkraft von 19.076 Euro pro Kopf. Damit liegt es fast 40 Prozent über dem europäischen Durchschnitt und auf Rang 13.

Unter den 96 Departements liegt Paris mit 29.443 Euro pro Kopf weit vor allen anderen. Die Hauptstadtbewohner haben somit im Durchschnitt rund das 1,5-Fache des Landesdurchschnitts und mehr als das Doppelte des Europadurchschnitts zur Verfügung.

Das Schlusslicht bildet Pas-de-Calais mit 15.688 Euro Kaufkraft pro Kopf. Das sind rund 18 Prozent weniger als der Landesdurchschnitt. Das kaufkraftschwächste Departement Frankreichs repräsentiert damit zugleich in etwa den Durchschnitt in den 28 EU-Ländern. Der französische Landesdurchschnitt findet sich im Gebiet von Pyrenees-Atlantiques wieder, wo die Verbraucher eine Kaufkraft von 19.006 Euro pro Kopf haben.

Polen: Einkommen variieren stark

Die Bewohner Polens verfügen im Jahr 2015 über 6.437 Euro Kaufkraft pro Kopf. Das entspricht Rang 28 im Europaranking und 47 Prozent der europäischen Durchschnittskaufkraft. Genau im Landesdurchschnitt liegt der Kreis Tarnow. Die Hauptstadt Warschau ist der kaufkraftstärkste Kreis des Landes: Mit 11.751 Euro haben die Einwohner im Schnitt fast 83 Prozent mehr Kaufkraft als ihre Landsleute. Dennoch liegen sie damit noch rund 14 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt.

Immerhin 17 der 380 polnischen Kreise verfügen über eine Kaufkraft, die 20 Prozent und mehr über dem Landesdurchschnitt liegt. Das ist ein Zeichen für den wachsenden Wohlstand in einigen Regionen. Diese Entwicklung steht allerdings im Kontrast zu den 90 Kreisen, die mindestens 20 Prozent unter dem Landesdurchschnitt liegen. Die Einwohner des kaufkraftschwächsten Kreises, Lubaczowski, haben sogar nur 68 Prozent des polnischen pro-Kopf-Durchschnitts. In Polen geht die Einkommensschere also besonders weit auseinander. Allerdings ist die große Spreizung der Kaufkraftwerte auch darauf zurückzuführen, dass die Kreisstruktur Polens mit 380 Gebieten im Vergleich zu den anderen genannten Ländern relativ feinteilig ist. Feinere Gebiete weisen generell eine höhere Wertespreizung auf.

Tschechen haben rund die Hälfte des Europadurchschnitts

Die Menschen in der Tschechischen Republik (Rang 26) haben eine durchschnittliche Kaufkraft von 7.313 Euro pro Kopf. Das sind 53,6 Prozent des Europaschnitts.

Der reichste tschechische Kreis, das Hauptstadtgebiet Prag (Hlavni mesto Praha), kommt auf eine durchschnittliche Kaufkraft von 9.598 Euro. Das sind rund 31 Prozent mehr als der Landesdurchschnitt. Diesen repräsentiert mit 7.297 Euro pro Kopf in etwa Plzen-sever, die Region nördlich von Pilsen. Hingegen verfügen die Menschen im Kreis Bruntal im Schnitt nur über 6.006 Euro Kaufkraft. Damit liegen sie 18 Prozent unter dem Landesdurchschnitt und in etwa auf dem gleichen Kaufkraftniveau wie die Einwohner Kroatiens.
 
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Zur Studie

Die GfK Kaufkraftstudie betrachtet die nominale Kaufkraft in Euro. Sie ist flächendeckend für detaillierte administrative und postalische Ebenen verfügbar. Die Wechselkurse der Nicht-Euro-Länder beziehen sich auf die Prognosen der Europäischen Kommission für das Jahr 2015 zum 05. Mai 2015. Die Wachstumsrate von 4,2 Prozent bezieht sich auf revidierte Vorjahreswerte sowie die pro-Kopf-Kaufkraft.

Beim Länderranking sind Wechselkurseffekte anderer Währungen gegenüber dem Euro zu beachten, insbesondere bei der Schweiz und Großbritannien.

Die Kaufkraft bezeichnet das verfügbare Einkommen ohne Steuern und Sozialabgaben inklusive Transferleistungen und wird pro Kopf und Jahr in Euro als Index ausgewiesen. Die GfK Kaufkraft bezieht sich auf die nominal verfügbaren Einkommen. Das heißt, die Werte sind nicht inflationsbereinigt. Basis der Berechnung sind neben Daten der Einkommensteuerstatistik einschlägige Statistiken zur Berechnung von Transferleistungen sowie Prognosewerte der Wirtschaftsinstitute.

Von der allgemeinen Kaufkraft bestreiten die Verbraucher alle Ausgaben für Essen, Wohnen, Dienstleistungen, aber auch Energiekosten, private Altersvorsorge und Versicherungen sowie andere Ausgaben, beispielsweise für Urlaub, ihre Mobilität und Konsumwünsche (Grafik: GfK).