Dienstag, 16. Juli 2024
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Genießt uns! zeichnet besondere Leistungen aus

Berlin. (wwfd) Während weltweit knapp 800 Millionen Menschen hungrig ins Bett gehen, landen über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel laut einer WWF-Studie in Deutschland jedes Jahr auf dem Weg vom Acker zum Teller im Abfall. Das muss sich ändern, lautet die Devise der Initiative Genießt uns!, zu der sich WWF Deutschland, Welthungerhilfe, United Against Waste, Foodsharing, die Verbraucherzentrale NRW und der Bundesverband Deutsche Tafel mit Förderung und fachlicher Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) zusammengeschlossen haben.

In dieser Woche zeichnete die Initiative auf der Kölner Ernährungsmesse Anuga den Münchner Traditionsgasthof Weisses Bräuhaus, den Kölner Erlebnisbauernhof Gertrudenhof und die Bio-Bäckerei Cibaria mit Sitz in Münster für ihr herausragendes Engagement zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen mit dem ersten Genießt uns!-Award aus. Eine dreiköpfige Jury, bestehend aus Koch und TV-Moderator Christian Rach, der Foodtrendforscherin Hanni Rützler und Prof. Dr. Guido Ritter von der Fachhochschule Münster, hatte die Preisträger aus 27 überzeugenden Unternehmensbewerbungen ausgewählt.

In der Begründung heißt es, allen drei Unternehmen gelinge es auf vorbildliche Weise, effektive Maßnahmen im Alltagsbetrieb zu verankern, um Lebensmittelabfälle erst gar nicht entstehen zu lassen. Die Betriebe seien «zukunftsweisende Leuchtturmprojekte», die Kunden und Belegschaft sensibilisierten und stark in Netzwerken arbeiteten. So überzeuge etwa der Gertrudenhof mit der «Schlemmerstation» aus Überschüssen und dem Verkauf von «krummem» Gemüse, die Bäckerei Ciabaria durch die konsequente Weiterverarbeitung nicht verkaufter Ware und das Weisse Bräuhaus durch Halbierung von Portionen, Rezepturen mit integrierter Resteverwertung oder das vorbildliche Entsorgungskonzept für verbleibende Lebensmittelreste. Die Preisträger sind Sieger des ersten deutschlandweiten Wettbewerbs, mit dem die Initiative Genießt-uns! kleine und mittlere Unternehmen gesucht hat, die bereits heute mit innovativen Konzepten beweisen: Lebensmittel müssen nicht in der Tonne landen.

Gemeinsam mit Filmemacher Valentin Thurn («Taste the Waste») waren Politiker, Unternehmen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland zu der Preisverleihung gekommen. Die Firma Sodexo hatte zum «Essensretterbankett» eingeladen, das von Adrienne Axler, CEO Sodexo Deutschland, eröffnet wurde. Aus vermeintlichem Abfall wurde ein genussreiches Buffet: Verwendet wurden Lebensmittel, die für die Messe gekauft wurden, die aber am letzten Messetag keine Verwertung mehr gefunden hätten. Serviert wurden etwa Süppchen aus überreifen Tomaten, Pesto aus welken Kräutern und Häppchen aus Fallobst.

Die Preisträger:

Weisses Bräuhaus München: Das Stammhaus der Familienbrauerei G. Schneider + Sohn bietet rund 660 Gästen in neun Gasträumen Platz. Die in der Küche verwendeten Rohstoffe werden von regionalen Partnern bezogen. Weisses Bräuhaus pflegt auch die traditionelle Münchner Küche mit Innereien. Die in der Küche und auf den Tellern anfallenden Lebensmittelabfälle werden regelmäßig erfasst. Die Speisekarte wurde an die Esskulturen und Wünsche der Gäste angepasst. So kann die Haxe halbiert oder Salat und Beilagen entkoppelt vom Hauptgericht bestellt werden. Die Küchenproduktion wurde umgestellt und neue Rezepturen einschließlich einer Resteverwertung eingeführt. Die Entsorgungskosten für Lebensmittelreste konnte das Bräuhaus seit 2008 um 60 Prozent reduzieren, der Restmüll ging um 20 Prozent zurück.

«XXL – war gestern? Leider ist dem nicht so. Es dient nur als Alleinstellungsmerkmal, um dem Gast vermeintlich mehr für sein Geld zu bieten. Produziert wird dabei lediglich für die Tonne. Essen bewusst für die Mülltonne produziert! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Die Spitzengastronomie mit ihren Sterne- Restaurants war immer Vorreiter in Sachen Produktqualität und auch Nachhaltigkeit, aber die Vermeidung von Lebensmittelmüll – was für ein absurdes Wort – stand nie im Fokus. Da muss ein bayrisches Brauhaus kommen und allen zeigen wie es geht! Das sollte und muss Schule machen», ist Jurymitglied Christian Rach überzeugt.

Gertrudenhof: Seit 1964 bewirtschaftet die Familie Zens den Erlebnisbauernhof Gertrudenhof in Hürth nahe Köln. Auf 130 Hektar werden etwa Weizen, Gerste, Zuckerrüben, Kartoffeln oder Kürbisse angebaut. Im Hofladen wird nicht normgerechtes Gemüse, das vom Großhandel wegen Form und Optik nicht akzeptiert wird, angeboten. In einer «Schlemmerstation» werden Überschüsse verarbeitet, und der Milchlieferant, welcher den Hof beliefert, nimmt nicht verkaufte Ware zurück, die später zu Käse wird. Der Schulbauernhof schafft es nach Einschätzung der Jury, in seiner Bildungsarbeit «eine neue Kultur der Wertschätzung von Lebensmitteln» zu schaffen.

«Mir war es wichtig, dass auch ein landwirtschaftlicher Betrieb ausgezeichnet wird. Die Landwirtschaft steht am Anfang der Produktionskette, hier kommen unsere Lebensmittel her. Leider wird beim Thema Vermeidung der Lebensmittelverschwendung die Landwirtschaft oft ausgespart. Dabei besteht gerade hier die Möglichkeit, die Wertschätzung für unsere Lebensmittel dem Verbraucher ohne Umwege vor Augen zu führen», sagt Jurymitglied Prof. Dr. Guido Ritter, Ernährungswissenschaftler der FH Münster.

cibaria GmbH ökologisch-biologische Vollkornbäckerei: Die 1990 von Rike Kappler in Münster gegründete Bio-Bäckerei cibaria hat rund 50 Beschäftigte. Die Backwaren werden im Stammhaus sowie in Bioläden und auf Wochenmärkten zum Verkauf angeboten. Außerdem beliefert cibaria Cafés und Kantinen. Da sich verschwenderischer Ressourceneinsatz nicht rechnet, hat der Betrieb nicht verkaufte Ware als wichtigste Stellschraube zur Effizienzsteigerungen in der Produktion identifiziert. Retouren werden hier systematisch erfasst, die Belegschaft regelmäßig geschult. Nicht verkaufte Brote und Brötchen werden zu Paniermehl verarbeitet und mittels überarbeiteter Rezepturen wieder in Backwaren eingearbeitet. Was hier keinen Einsatz findet, geht als Spende an Bahnhofsmissionen.

«Seit Jahrtausenden ist Brot wohl das bedeutendste Lebensmittel überhaupt und ein symbolträchtiges Lebensmittel, das für physische und geistige Nahrung steht. Zugleich zählen Backwaren zu den Lebensmitteln, die an erster Stelle beim Abfall stehen. Eine Bäckerei auszuzeichnen, die sich gezielt der Vermeidung von Verlusten verpflichtet fühlt und der dies durch intensive Kommunikation mit MitarbeiterInnen und Kunden gelingt, ist daher ein Zeichen für die gesamte Branche», erläutert Jurymitglied Hanni Rützler.

Genießt uns! ist die Initiative gegen Lebensmittelverschwendung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Fachlich und finanziell gefördert wird sie durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU). Partner der Initiative sind der WWF Deutschland, die Welthungerhilfe, United Against Waste, Foodsharing, die Verbraucherzentrale NRW und der Bundesverband Deutsche Tafel Wissenschaftlich begleitet wird sie von der iSuN Fachhochschule Münster (Bild: Koelnmesse)).