Dienstag, 16. Juli 2024

Bio-Lebensmittel: Neue Zusatzstoffe sind erlaubt

Bonn. (ble) Mit dem Erlass der neuen Durchführungsverordnung (EU) 2016/673 (PDF) erhöht die EU-Kommission die Zahl der zugelassenen Hilfs- und Zusatzstoffe von 49 auf 53. Zudem erweitert die seit Mitte 2016 gültige Verordnung die Anwendungsbereiche einiger bereits zugelassener Zusätze. In der Biobranche gibt es dazu auch kritische Stimmen, schreibt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).

Eine schonende Verarbeitung ist in der ökologischen Lebensmittelverarbeitung Pflicht. So schreiben die EU-Rechtsverordnungen zum ökologischen Landbau vor, «den Einsatz von Zusatz- und Hilfsstoffen auf ein Minimum zu beschränken». Während in der konventionellen Lebensmittelherstellung 320 Zusatzstoffe erlaubt sind, dürfen Bio-Unternehmen nun rund 50 verwenden. Die ökologischen Anbauverbände kommen sogar mit gut 20 Stoffen aus und erlauben nur selten neue Zusatz- oder Hilfsstoffe.

Grundsätzlich ist es sinnvoll, die Liste der zugelassenen Zusatz- und Hilfsstoffe regelmäßig zu überarbeiten. Denn durch den technologischen Fortschritt und erweiterte Sortimente ändern sich die Anforderungen der Hersteller/innen von Lebensmitteln. Entsprechend beantragen einzelne Unternehmen oder Mitgliedsstaaten immer wieder Änderungen. Um die Liste festzulegen, berät sich die Europäische Kommission mit der «Expert Group for Technical Advice on Organic Production», kurz EGTOP genannt. Dieses Gremium besteht aus Mitgliedern der europäischen Biobranche. Herausgekommen sind folgende Änderungen.

Vier neue Zusatzstoffe

Verarbeiter/innen können jetzt vier neue Zusatzstoffe einsetzen: Als Überzugsmittel für Süßwaren lässt sich künftig Bienenwachs (E 901) aus ökologischer Bienenhaltung und Carnaubawachs (E 903) aus ökologischen Rohstoffen verwenden. Sowohl Bienen- als auch der von der brasilianischen Palme stammende Carnaubawachs eignen sich besonders, um die Oberflächen von Früchten zu behandeln und sie so vor dem Austrocknen zu schützen. Beide Stoffe waren bisher schon als Trennmittel für die Bioverarbeitung zugelassen.

Als neues Geliermittel ist Gellan (E 418) zugelassen. Dieser Zucker kommt in der Natur in der Bakterienart Pseudomonas elodea vor und lässt sich mit deren Hilfe auch herstellen. Gellan ist für alle Lebensmittel ohne Mengenbegrenzung zugelassen. Gängig ist sein Einsatz bei Marmeladen, Konfitüren und in Süßwaren. Schon in geringer Konzentration bildet Gellan aus Flüssigkeiten feste, klare Gele. Gellan verbessert die Geliereigenschaften von dem in Bioprodukten häufig eingesetzten Johannisbrotkernmehl.

Wer braucht künstliche Biosüßstoffe?

Ebenfalls erlaubt wird der Zuckeraustauschstoff Erythrit (E 968), allerdings nur «wenn aus ökologischer/biologischer Produktion ohne Einsatz von Ionenaustauschtechnologie gewonnen». Hergestellt wird der Zuckeralkohol mikrobiell aus Weizen- oder Maisstärke.

Während Gellan und Wachse eher unumstritten sind, entzündet sich um Erythrit die alte Debatte, wie viel Zusatzstoffe die Biobranche wirklich braucht. «Bei Erythritol handelt es sich um einen hoch verarbeiteten Süßstoff, der keinen Bezug mehr zur Ausgangspflanze besitzt. Zudem ist er absolut verzichtbar», bewertet Karin Wegner vom Qualitätsteam des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN) den neuen Süßstoff. Auch der Bund der ökologischen Lebensmittelhersteller (BÖLW) wundert sich, dass der auf der Wunschliste von manchen Getränkerunternehmen stehende Süßstoff nun erlaubt ist. Zumal es gar kein geeignetes Bioprodukt auf dem Markt gebe.

Veränderte Einsatzbereiche von Zusatzstoffen

Zitronensäure (E 330) und Natriumcitrat (E 331) dürfen künftig nicht nur bei Krebsen und Weichtieren sondern unbeschränkt eingesetzt werden. Das gleiche gilt für Tocopherolhaltige Extrakte (E 306). Die waren vorher nur als Antioxidans für Fette und Öle erlaubt. Tocopherolhaltige natürliche Extrakte stammen aus den Samen ölhaltiger Pflanzen. Was natürlich klingt, ist dem BNN trotzdem ein Dorn im Auge. «Die Erweiterung des Anwendungsbereichs ist nicht begründet. Auf diesen Zusatz kann verzichtet werden», sagt Ökotrophologin Karin Wegner.

Ebenfalls mehr Einsatzmöglichkeiten gibt es für Siliciumdioxid (E 551). Das Rieselmittel darf jetzt nicht nur in Kräutern und Gewürzen, sondern auch in Aromen und in Propolis vorkommen. Dagegen dürfen E 220 Schwefeldioxid und E 224 Kaliummetabisulfit nur noch bei einem einzigen Produkt tierischer Herkunft verwendet werden, nämlich bei Met (Honigwein).

Während Zusatzstoffe grundsätzlich aus ökologischen Rohstoffen stammen müssen, macht die neue Verordnung bei Lecithin (E322) eine Ausnahme: Es darf bis 2019 auch aus konventioneller Herkunft verwendet werden. Denn Lecithin in Bioqualität ist gegenwärtig nicht in ausreichenden Mengen verfügbar.

Neues zu Hilfsstoffen

Neue Verarbeitungshilfsstoffe sind Essig/Essigsäure aus ökologischer Produktion und Holzfasern. Letztere müssen aus zertifizierter nachhaltiger Forstwirtschaft stammen und dürfen keine Toxine enthalten. Mit Holzfasern lassen sich Getränke filtrieren. Dafür wurde Kaolin aus dem Anhang gestrichen.

Für die Herstellung von Met und Obstweinen können jetzt Thiaminhydrochlorid und Diammoniumphosphat verwendet werden. Auch das ist fragwürdig: «Zu diesen synthetisch hergestellten Hilfsstoffen gibt es bereits eine natürliche Alternative auf dem Biomarkt: die Hefeautolysate. Das sind aufgelöste Inhaltsstoffe von Biohefen. Allerdings steht die Zulassung dieser Produkte für die Bioweinbereitung derzeit noch aus», erklärt Dr. Friedhelm von Mering, politischer Referent beim BÖLW.

Erweitert hat die Kommission den Einsatz von Natriumhydroxid als Hilfsstoff für die Ölgewinnung: «Das bewerten wir positiv. Denn dieser Hilfsstoff kann unerwünschte Fettsäureester in Ölen oder Fetten reduzieren», sagt Karin Wegner.

Was hat es gebracht?

Kritische Stimmen aus den Bioverbänden beklagen, dass bei der Änderung die klare strategische Ausrichtung fehle: «Beispielsweise hat die harmlose Pflanzenkohle keinen erweiterten Einsatzbereich bekommen. Die darf nach wie vor nur bei geaschtem Ziegenkäse und Morbierkäse vorkommen. Dagegen hat die Kommission das von Anfang an umstrittene Erythrit einfach durchgewunken», bedauert Dr. Friedhelm von Mering. Der BÖLW-Experte kritisiert weiterhin, dass die Regelungen uneinheitlich seien. «Mal müssen die Zusatzstoffe nur aus ökologischen Rohstoffen stammen wie das Carnaubawachs, mal aus biologischer Produktion wie die Kartoffelstärke. Da müssen die Lebensmittelverarbeiter den Anhang genau lesen. Ansonsten könnten sie unwillentlich oder unwissentlich einen Fehler machen».

Nachtrag: Überblick über alle – auch konventionell – erlaubten Zusatzstoffe.